Zollernalbkreis

Ein netter Kerl, wenn er nicht getrunken hat

06.12.2017

von Michael Würz

Seit Mittwoch steht ein Somalier aus der ehemaligen Meßstetter LEA vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Körperverletzung und Brandstiftung vor.

Justizbeamte führen den Angeklagten gegen 8.45 Uhr in Sitzungssaal 181 des Hechinger Gerichtsgebäudes. Die Handschellen nehmen sie dem jungen Häftling ab, seine Fußfessel bleibt dran. Richter Ernst Wührl versucht sich zunächst ein Bild von dem Mann zu machen, von dem sie nicht genau wissen, wie alt er ist, der das selbst nicht so genau sagen kann – oder will.

Ein netter Kerl, wenn er nicht getrunken hat

© Michael Würz

Ein Gefangenentransporter steht am Mittwochnachmittag vor dem Gerichtsgebäude in Hechingen.

Vor einigen Jahren, so schildert er seinem Dolmetscher, hatten Terroristen den Bauernhof seiner Familie in Somalia überfallen. Mehrere seiner Brüder seien dabei erschossen worden. Der Angeklagte selbst erlitt einen Streifschuss am Kopf. Eine weitere Kugel, die ihn seinerzeit im Bauchraum getroffen hatte, haben ihm Ärzte des Zollernalbklinikums in diesem Jahr herausoperiert. Der Prozess ist erst wenige Minuten alt, als der Angeklagte in Tränen ausbricht.

Hinter dem Mann liegt eine Flucht durch mehrere Länder, die schließlich in einem Schlauchboot endet, mit dem er von Libyen nach Italien übersetzt. 8000 Dollar hatte seine Familie nach dem Verkauf eines Hauses dem Schlepper dafür gezahlt, sagt der junge Mann. Richter Wührl will wissen, wie er nach Deutschland kam. „In Italien war ich obdachlos, es bestand die Gefahr, dass ich abgeschoben werde“, sagt der Angeklagte. Er habe sich gewünscht, in Frieden leben zu können, vor allem aber auch vernünftig medizinisch versorgt zu werden. 2017 kommt er in der Landeserstaufnahmestelle für Flüchtlinge in Meßstetten an.

Ein gespaltenes Verhältnis

Andreas Binder, Chef der ehemaligen LEA, der dem Angeklagten die Operation in Albstadt ermöglicht hatte, schildert den Somalier am ersten Prozesstag als netten und umgänglichen jungen Mann. Einerseits. Andererseits zeichnet Binder das Bild des schwarzen Schafs unter den Flüchtlingen, das sie schlussendlich sogar in einem leerstehenden Gebäude untergebracht hatten, getrennt von allen anderen. Das deckt sich auch mit den Schilderungen mehrerer Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes, mit denen der Angeklagte ein beinahe freundschaftliches Verhältnis gepflegt hatte. Sofern er nüchtern war.

Griff er zur Flasche, und das tat er offenbar häufig, sei er schnell aggressiv geworden. LEA-Chef Binder spricht gar von einem unberechenbaren Risiko. Gleichwohl ist Zeugen wie Opfern am ersten Prozesstag regelrecht unangenehm, dass sich der Somalier nun für mehrere Taten vor Gericht verantworten muss.

„Ich habe ihm verziehen, eigentlich kamen wir ja gut miteinander aus“, sagt ein Iraker, dem der Angeklagte an einem alkoholgeschwängerten Abend im April gar mit einem Faustschlag die Nase gebrochen hatte – es ist einer von mehreren Fällen, die die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklage auflistet.

Der junge Mann, der nun vor Gericht steht, ist auch derjenige LEA-Bewohner, der im Juni für Schlagzeilen gesorgt hatte, weil in seinem Zimmer der LEA Feuer ausgebrochen war. Was seinerzeit genau passiert war, ist nach dem ersten Prozesstag jedoch weiterhin unklar. Gleich zwei Zeugen – Mitarbeiter der Sicherheitsfirma – blieben der Verhandlung unentschuldigt fern. Zwei weitere Sicherheitsmänner widersprachen sich im Zeugenstand; beide behaupteten etwa ihrerseits, den Angeklagten aus dem völlig verrauchten Zimmer gerettet zu haben. Für den Brandsachverständigen Karl-Heinz Simon steht zumindest zweifelsfrei fest: Das Feuer muss gelegt worden sein – fahrlässig oder mutwillig.

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