Balingen

Der neue HBW-Coach Jens Bürkle im großen ZAK-Interview

28.10.2017

von Marcus Arndt

Nach dem Stotterstart im Bundesliga-Unterhaus reagierten die HBW-Verantwortlichen rasch, trennten sich nach der Klatsche in Hamm von Trainer Runar Sigtryggsson. Die Nachfolge des Isländers trat Jens Bürkle an. 

Der neue HBW-Coach Jens Bürkle im großen ZAK-Interview

© Moschkon

Jens Bürkle (Jahrgang 1980) schaffte 2006 mit dem HBW Balingen-Weilstetten als Spieler den Aufstieg in der Bundesliga. Nach seinem Karriereende trainierte er von 2013 bis 2015 den Zweitligisten DJK Rimpar Wölfe, wechselte dann zur klassenhöheren TSV Hannover-Burgdorf. Im Sommer trennten sich die Recken nach nur zwei Pluspunkten in der Rückrunde – und Rang elf in der Abschlusstabelle – von dem 37-Jährigen.

Ein junger Coach mit Perspektive, welcher die Erwartungen dämpft. Der direkte Wiederaufstieg sei nur schwer zu realisieren, meint der ehemalige Bundesliga-Spieler, welcher zuletzt die klassenhöhere TSV Hannover-Burgdorf trainierte.

Wenig überraschend hat Runar Sigtryggsson seinen Abschied zum Saisonende bekannt gegeben. Abrupt hat der HBW den Isländer in der Folge beurlaubt und Sie als neuen Trainer präsentiert. Sicherlich kein Schnellschuss der Schwaben . . .

Jens Bürkle: Wir standen schon seit Längerem in Kontakt – das ist bekannt. Ich habe mir die Entscheidung nicht einfach gemacht, habe alle Spiele des HBW auf Video gesehen und erst nach weiteren Gesprächen mit den Verantwortlichen eine Entscheidung getroffen. Der Zeitpunkt mag überraschen, allerdings fühlt er sich bei allen Beteiligten richtig an.

Sie haben bereits am Dienstag die erste Trainingseinheit geleitet. Wie ist Ihr Eindruck von der Mannschaft?

Bürkle: Es ist eine Mannschaft mit Potenzial, aber man muss sie entwickeln. Es sind sehr viele junge Spieler, welche viele Dinge unter Vollstress einfach noch nicht erlebt haben – das darf man nicht vergessen. Sie werden auch weiter Fehler machen, vielleicht sogar drei-, viermal den Gleichen bis der nächste Schritt in der Entwicklung folgt. Für mich ist es eine extrem spannende Aufgabe, in der Kürze der Zeit etwas Neues aufzubauen.

Im Vorfeld der Runde zählte der langjährige Erstligist aus Balingen zu den Aufstiegskandidaten, hat aber ganz offensichtlich nicht die Klasse der Bergischen Löwen. Wie schätzen Sie das Team um Europameister Martin Strobel ein?

Bürkle: Wie gesagt – es ist eine sehr junge Mannschaft mit viel Potenzial. Auf den beiden Außenpositionen sind wir sicherlich top aufgestellt. Vier Spieler kämpfen hier um die Einsatzzeiten. Auch am Kreis haben wir gute und interessante Alternativen. Aber Spieler wie Tobias Wagner oder auch Christoph Foth müssen noch dazulernen. Auch Markus Dangers aus dem Perspektivteam sehe ich durchaus als möglichen Kandidaten an.

Und im Rückraum . . .

Bürkle: Mit Martin Strobel haben wir sicherlich den besten Mittelmann der Liga. Er nimmt bei uns eine zentrale Rolle ein. Aber wir müssen gewappnet sein, wenn wir ohne ihn auskommen müssen. Allgemein sehe ich im Angriff nicht die ganz großen Probleme. Wir sind auf allen Positionen im Rückraum doppelt besetzt – mit Spielern mit Erfahrung und Perspektive.

Die Defizite liegen ohne Zweifel in der Defensive. Wie beurteilen Sie das Abwehrverhalten der neu formierten Balinger Mannschaft?

Bürkle: Mit dem Blick auf die Statistik hat der HBW in Coburg, Dessau und zuletzt in Hamm durchschnittlich 33 Gegentore kassiert. Das ist natürlich viel zu viel. Wir müssen nun versuchen, dass wir die 6:0-Abwehr sauber spielen, weniger Zweikämpfe verlieren. Wir müssen hier die Fülle des Kaders, welcher über gute Beine verfügt, ausspielen und den Gegner müde machen. Optimal wäre es natürlich, wenn wir über zwei Abwehrsysteme verfügen würden, deshalb werden wir die 6:0-Abwehr unterschiedlich interpretieren. Wir müssen stabil stehen und müssen die Zweikämpfe gewinnen, sonst wird es sehr schwer werden, oben mitzuspielen.

Hinter dem souveränen Spitzenreiter Bergischer HC kämpfen sieben oder sogar mehr Klubs um Rang zwei. Wie schätzen Sie die Aufstiegschancen der „Gallier von der Alb“ ein?

Bürkle: Wir müssen die Situation realistisch einschätzen. Der BHC läuft – im Moment – vorne weg, viele Mannschaften kämpfen um den zweiten Aufstiegsplatz. Ich denke, dass die ersten zehn Spiele allen gezeigt haben, dass der direkte Wiederaufstieg keine Selbstverständlichkeit ist. Natürlich hat der HBW eine Mannschaft, welche oben mitspielen kann. Aber es müssen viele Dinge zusammenkommen, damit es auch funktioniert und die Mannschaft entsprechend performen kann.

Was unterscheidet den HBW von Mitabsteiger BHC?

Bürkle: Ich habe schon vor der Saison gesagt, dass die Löwen nicht nur die bestbesetzte, sondern auch die erfahrenste Mannschaft haben. Das gilt nicht nur für die Anzahl der Länderspiele. Der BHC hat – mit wenigen Ausnahmen – die besten Einzelspieler, welche zudem über reichlich Erstligaerfahrung verfügen. Nicht nur die Bilanz von 20:0 Punkten ist beeindruckend, sondern auch die Art und Weise, wie die Mannschaft von Sebastian Hinze diese erkämpft – und auch enge Spiele gewonnen hat. In Hamm und Würzburg haben die Löwen bereits vier absolute Big Points geholt. Auch in Eisenach muss man erst einmal gewinnen.

Ist Rang zwei ein realistisches Ziel für den HBW?

Bürkle: Es ist eine verrückte Liga, in der jeder gegen jeden gewinnen kann. Wir müssen demütig arbeiten und unsere Probleme in den Griff bekommen. Die abgezockten Gegner – mit Ausnahme von Coburg und Hamm – warten erst auf uns. Wir müssen schauen, wo wir Ende Dezember stehen.

Nach der Länderspielpause trifft der HBW auf den badischen Rivalen aus Konstanz. Ein schwieriges Debüt für Sie ...

Bürkle: Das wird sicherlich nicht einfach. Unabhängig vom Tabellenplatz spielt die HSG mit wenigen Ausnahmen eine sehr gute Saison. Beeindruckend ist das Tempospiel der Konstanzer, die viele Dinge sehr gut machen.

Zurück zur täglichen Arbeit mit dem Team. In den ersten Trainingseinheiten fehlten neben den Nationalspielern einige angeschlagene Akteure. Welche Schwerpunkte setzen Sie im Übungsbetrieb?

Bürkle: Wir müssen schauen, wie die einzelnen Akteure auf die Trainingsreize reagieren. Erst einmal haben fünf, sechs Spieler aus unterschiedlichen Gründen gefehlt – jetzt folgt ein freies Wochenende. Das möchte ich der Mannschaft auch nicht wegnehmen, obwohl es mich innerlich antreibt, in der Halle zu stehen und mit dem Team zu arbeiten.

Weg von der rein sportlichen Seite. Sie sind seit vielen Jahren mit Wolfgang Strobel befreundet. Ihr neuer Job ist nicht ganz einfach. Oder?

Bürkle: Wir gehen beide ein Risiko ein – das ist ganz klar. Es braucht klare Regeln, damit es läuft. Wichtig ist, dass wir – egal wie es ausgeht – uns danach noch in die Augen schauen können.

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