Balingen

Der Schutz des Opfers geht vor

18.10.2017

von Michael Würz

Die Polizei hat am Wochenende nicht über eine versuchte Vergewaltigung berichtet. Wir erklären warum.

Ein junger Mann bedrängt am Freitagabend am Balinger Bahnhof eine 17-Jährige, versucht sie zu küssen und auszuziehen. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft zunächst – wie berichtet – eine sexuelle Nötigung mit vorsätzlicher Körperverletzung. Am Dienstag dann teilten die Ermittlungsbehörden mit, dass man nach dem aktuellen Stand der Ermittlungen von einer versuchten Vergewaltigung ausgehe. Eine grausame Tat an einem jungen Mädchen, das sich vor allem eines gewünscht hatte: kein großes öffentliches Aufsehen. Schon von Gesetzeswegen habe im Übrigen der Opferschutz bei Minderjährigen oberste Priorität, erklärt Michael Aschenbrenner, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Tuttlingen.

Der Schutz des Opfers geht vor

Am Bahnhof in Balingen ist es am Freitagabend zu einer versuchten Vergewaltigung gekommen. Foto: kom/Archiv

Internetnutzer hatten unter anderem auf der Facebookseite unserer Zeitung den Behörden vorgeworfen, die Tat – die der ZAK am Montag aufgegriffen hatte – verschweigen zu wollen. Aschenbrenner kennt solche Vorwürfe im Netz, all die vielen Kommentare. Und erklärt: „Wenn die Kripo feststellt, dass das Opfer minderjährig ist, steht der Schutz des Opfers über allen Überlegungen, vor allem aber auch über dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit.“

Der Schutz des Opfers geht vor

Michael Aschenbrenner leitet die Pressestelle im Polizeipräsidium Tuttlingen.

Das heißt: Der Fall, den die Polizeisprecher am Wochenende auf dem Tisch hatten, wanderte zunächst weiter zur Staatsanwaltschaft in Hechingen, die dem ZAK den Vorfall dann am Montag auch bestätigte. „Die Polizei darf mit einem Fall, bei dem das Opfer minderjährig ist, grundsätzlich nicht aus eigenen Stücken an die Öffentlichkeit“, sagt Aschenbrenner. „Anders hätte das ausgesehen, wenn Gefahr für die Bevölkerung bestanden hätte, der Tatverdächtige etwa nach dem Übergriff flüchtig gewesen wäre“, erklärt der Polizeisprecher. Doch die Polizei hatte den Mann dingfest gemacht. Er sitzt in U-Haft.

Nicht die Ermittlungen gefährden

Gar nicht glücklich sind sie bei der Polizei, wenn in Medienberichten etwa Zeugen mit detailreichen Schilderungen zu Wort kommen. Das nämlich könne gar die Ermittlungen gefährden. „Der Beschuldigte wird ja im Moment vernommen, jedes Detail kann Täterwissen sein.“ Aschenbrenner kritisiert diese Art der Berichterstattung, die detaillierte Schilderung des Geschehens. „Da werden Zeugenaussagen vorweg genommen.“ 

Zurückhaltung ist geboten

Im Übrigen würden durch diese Form der Berichterstattung häufig nicht nur Zeugen beeinflusst, sondern Opfer ein zweites Mal traumatisiert, klagt Aschenbrenner. Und hält aus diesen Gründen eine gewisse Zurückhaltung für gleichermaßen geboten wie normalerweise üblich – sowohl seitens der Behörden als auch seitens aller Medien.

„Ich verstehe schon, dass das Informationsbedürfnis der Bevölkerung in einem solchen Fall sehr groß ist“, räumt Aschenbrenner ein. Aber er betont: „Der Schutz des Opfers steht im Vordergrund, außerdem darf die Polizeiarbeit nicht gefährdet werden.“ Es seien noch immer intensive Ermittlungen im Gange.

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