Balingen

Boogie wirkt auf Gäste wie ein Antidepressivum

06.10.2017

Fliegende Finger und tanzende Beine rissen Jazzfans von den Stühlen.

Eine Legende erzählt, dass bei einem Boogie-Woogie-Konzert in der Carnegie Hall in New York im Jahre 1938 die Pianisten Pete Johnson, Meade Lux Lewis und Albert Ammons das Publikum derart in Ekstase versetzten, dass die Angestellten dieser ehrwürdigen Konzerthalle einige Leute aus dem Publikum von den Kronleuchtern herunterbitten mussten, auf die sie aus lauter Begeisterung geklettert waren.

Boogie wirkt auf Gäste wie ein Antidepressivum

© Manfred Plog

Das Jörg Hegemann Trio freut sich im Balinger Zollernschloss über ein ausverkauftes Haus und stehende Ovationen.

Kronleuchter gibt es im Balinger Jazz-Club nicht, aber auch ein sehr begeisterungsfähiges Publikum, das am vergangenen Samstag das „Jörg Hegemann Trio“ feierte. Am Ende mit stehenden Ovationen im ausverkauften Saal des Zollernschlosses.

Boogie, das machte das grandiose Trio an diesem Abend deutlich, ist ein Antidepressivum, das die Zuhörer unmittelbar in gute Laune versetzt oder zumindest ein Lächeln auf ihr Gesicht zaubert und sie mit-swingen lässt. Kann Klaviermusik ansteckender sein? Hegemann ist ein Hexenmeister an den weißen und schwarzen Tasten. Mit der linken Hand spielt er die kraftvollen und unentwegt rollenden Bässe. Mit der rechten hält er mit Off-Beat-Figuren, die von Trillern und Tremoli durchsetzt sind, dagegen.

Dabei fliegen seine Finger atemberaubend leicht über die Tastatur. Seine Beine tanzen. Und wenn die Musik den Siedepunkt erreicht, dann strahlt er über das ganze Gesicht. Sein Vorbild Albert Ammons wäre stolz auf ihn. Und Hegemanns musikalische Partner erweisen sich als kongenial: Paul G.Ulrich ist der komplette Bassist. Sein Rhythmus, mit großem Ton vorgetragen, groovt und ist stets elastisch. Seine Soli voller Achtelnoten singen und swingen. Und er beherrscht auch das, was heutzutage wenige noch wirklich können: das gestrichene Basssolo. Paul Kuhn wusste, was für einen herausragenden Bassisten er in seinem Jazztrio zwölf Jahre lang beschäftigte.

Jan Freund am Schlagzeug ist meist mit Besen unterwegs. Auf den ersten Blick wenig spektakulär. Wer ihm aber genau zuhört, bemerkt seine Subtilität und seine Finesse. Er akzentuiert, unterstützt, setzt Ausrufezeichen, kommentiert das Spiel und die Soli seiner Mitstreiter. Sein ganzes Können demonstriert er in einem explosiven, rhythmisch stimmig abgezirkelten Solo, das das Publikum zu Begeisterungsstürmen hinreißt.

Wer vermag sich dieser unwiderstehlichen Mischung aus Blues, Swing, Kraft und Frische zu entziehen? Vorgetragen von drei brillanten Musikern, die zudem sympathische und humorvolle Persönlichkeiten sind. An diesem Abend im Zollernschloss konnte es niemand.

Bleibt zu hoffen, dass Hegemann schon bald mal wieder Zeit findet für Balingen, zwischen Hamburg und St.Petersburg, zwischen Bologna und Philadelphia.

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