Zollernalbkreis

Telefonaktion: Eine Krankheit, die mit vielen Ängsten verbunden ist

16.09.2017

von Lydia Wania-Dreher

Am Donnerstagabend nahmen sich sechs Experten zwei Stunden Zeit für die vielfältigen Fragen der Leser zum Thema Demenz.

Wenn das Gedächtnis schwindet: Das Thema Demenz betrifft immer mehr Menschen. Grund dafür ist, dass das Risiko daran zu erkranken, mit dem Alter steigt und die Gesellschaft immer älter wird. Dennoch wissen viele Menschen nicht, was sie tun sollen, wenn sie bei sich oder Angehörigen Veränderungen feststellen, die auf eine beginnende Demenz hindeuten. Auch nach der Diagnose sind sich Betroffene und Angehörige oft unsicher, ob sie das Richtige tun.

Experten am Hörer

Am Donnerstagabend nutzten 19 Personen das Angebot und riefen bei den Experten der ZAK-Telefonaktion an. „Eine Frau meldete sich, weil sie das Gefühl hat, dass ihre Medikamente sich negativ auf ihre Vergesslichkeit auswirken“, erzählt Hildegard Fürst, Vorsitzende des Kreisseniorenrats Zollernalb. Sie riet in diesem Fall einen Arzt – am besten einen Facharzt – aufzusuchen und hier das Krankheitsbild abklären zu lassen.

Telefonaktion: Eine Krankheit, die mit vielen Ängsten verbunden ist

© Volker Bitzer

Hildegard Fürst.

Eine andere Frau erzählte Hildegard Fürst, dass sie immer wieder Schwierigkeiten mit der Krankenkasse habe. Die Expertin kennt das. „Man muss hartnäckig bleiben und gegebenenfalls auch einen Rechtsanwalt dazu holen“, sagt Hildegard Fürst. Eine weitere Frau aus Albstadt wollte wissen, wie sie einen Erholungsurlaub für sich und ihren kranken Mann bekommen kann.

„So etwas gibt es, aber die Plätze sind schnell weg“, weiß Hildegard Fürst. Hier spiele es eine große Rolle, wie engagiert der Hausarzt ist. Kunsttherapeutin Simone Petri, stimmt ihr da zu. „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es schwierig ist, einen Platz zu bekommen, gerade wenn man mit einem Demenzkranken zusammen gehen möchte“, so Petri.

Entlastung von Angehörigen

Auch bei der examinierten Altenpflegerin Melitta Diaz Garcia vom Pflegedienst Lux-Helios aus Winterlingen gab es eine Nachfrage zum Thema Entlastung. „Wie kann ich mal zwei oder drei Stunden frei haben“, fragte eine Anruferin aus Tailfingen. Sie pflegt ihren dementen Ehemann rund um die Uhr, der in den Pflegegrad 2 eingestuft wurde.

Telefonaktion: Eine Krankheit, die mit vielen Ängsten verbunden ist

© Volker Bitzer

Melitta Diaz Garcia.

Gerne würde sie mal wieder für ein paar Stunden mit Freunden einen Kaffee trinken oder eine Sportgruppe besuchen. „Es gibt spezielle Entlastungsleistungen“, informiert Melitta Diaz Garcia. Man bekomme 125 Euro pro Monat egal in welchem Pflegegrad jemand eingestuft ist. Der Betrag ist zweckgebunden einzusetzen für qualitätsgesicherte Leistungen zur Entlastung pflegender Angehöriger. So können diese die Zeit zum Durchatmen und Erholen nutzen.

Telefonaktion: Eine Krankheit, die mit vielen Ängsten verbunden ist

© Volker Bitzer

Heide Rath.

Bei Heide Rath vom Pflegestützpunkt Zollernalb meldeten sich zwei Töchter bei deren Müttern das Gedächtnis nachlässt. „Beide Mütter möchten keine Hilfe von außen annehmen“, beschreibt Heide Rath die Situation. In dieser Lage müsse man manchmal auch einfach abwarten und immer wieder ganz kleine Schritte gehen, sagt die Expertin.

Gerade bei der Hygiene gebe es oft einen Spagat. Viele Angehörige stellten sich die Frage, wann sie eingreifen sollen. „Wie viel Persönlichkeitsrecht hat jemand mit einem kurzem Kurzzeitgedächtnis?“, hinterfragt Heide Rath. Die eigenen Einschätzungen stimmten oft nicht mit denen der zu Pflegenden überein. „Hier muss man ganz behutsam sein und sich manchmal auch einfach zurücklehnen und abwarten“, so Heide Rath.

Telefonaktion: Eine Krankheit, die mit vielen Ängsten verbunden ist

© Volker Bitzer

Susanne Zimmermann.

Ein ähnlicher Fall wurde auch Susanne Zimmermann, Pflegedienstleiterin der Sozialstation St. Franziskus in Burladingen, beschrieben. Hier rief die Tochter an und fragte, wie sie mit ihrer Mutter umgehen kann. „Aber man muss doch jeden Abend duschen“, sagte die Anruferin. Die Mutter verweigere sich hier. „Man darf die Mutter nicht überanstrengen“, sagt Susanne Zimmermann. Es gebe einfach verschiedene Wohlfühlrahmen und das müsse man auch akzeptieren.

Diagnosen richtig verstehen

Meist medizinisch waren hingegen die Fragen an Erhard Pluto, Neurologe und Oberarzt am Zollernalb-Klinikum. Manch ein Anrufer wollte sich mit dem Telefonat eine Zweitmeinung einholen. Eine Frau beschrieb ihre Diagnose vom Radiologen.

Telefonaktion: Eine Krankheit, die mit vielen Ängsten verbunden ist

© Volker Bitzer

Erhard Pluto.

Er hatte Durchblutungsstörungen im Gehirn festgestellt. „Das heißt nicht automatisch, dass man dement ist“, klärt Erhard Pluto auf. Eine andere Anruferin erzählte, dass ihre Mutter dement sei und sie nun Angst habe, auch daran zu erkranken. Sie wollte wissen, ob sich so etwas auch schon im Alter von 50 Jahren diagnostizieren lässt. „Ja, das kann man“, sagt der Oberarzt. „Aber wem nutzt das?“, fragt er in den Raum. Er rät generell von solchen Frühdiagnosen ab.

Eine 62-Jährige berichtete Erhard Pluto, dass sich der Zustand ihrer Mutter verschlechtere. Sie wolle nicht mehr schlucken und essen. Der Hausarzt wolle nun die Patientin ins Krankenhaus einweisen. „Ich bin kein Freund davon, Demenzkranke ins Krankenhaus zu geben“, sagt Erhard Pluto. Allerdings habe die Tochter das Gefühl, dass es auch etwas anderes sein kann. Hier rät der Oberarzt dazu, es von einem Fachmann abklären zu lassen.

Angst vor der Krankheit

„Ein Mann wollte wissen, ob er sich auch in einem anderen Landkreis behandeln lassen kann“, erzählt Erhard Pluto. Er habe Angst, dass die Nachbarn etwas von seiner Erkrankung erfahren. „Daran sieht man, was für eine große Angst mit der Krankheit verbunden ist“, sagt Simone Petri.

Telefonaktion: Eine Krankheit, die mit vielen Ängsten verbunden ist

© Volker Bitzer

Simone Petri.

Dem stimmt Hildegard Fürst zu: „Und diese wird von der Gesellschaft geschürt.“ Daher sei es so wichtig, über das Thema weiter aufzuklären und zu informieren. Im Umgang mit Demenzkranken und ihren Angehörigen nehme Baden-Württemberg leider keine Vorreiterrolle ein.

 

Den Umgang mit dementen Menschen lernen

Veranstaltung Das Netzwerk Demenz im Zollernalbkreis lädt am Samstag, 4. November, zur Veranstaltung „Herausforderndes Verhalten bei Demenz – mit Validation begegnen“ ein. Referentin ist Beate Scherer, Lehrerin für Pflegeberufe und Master in Validation nach Naomi Feil.

Die Veranstaltung findet im Konferenzraum 2 im Zollernalb-Klinikum in Balingen statt und dauert von 13 bis 16.30 Uhr.

Zielgruppe Eingeladen sind betreuende Angehörige, Fachkräfte und sonstige Interessierte. Es wird ein Unkostenbeitrag erhoben.

Anmeldung Aufgrund der begrenzten Teilnehmerzahl ist eine Anmeldung erforderlich. Dies geht unter der Telefonnummer 07575/895 oder per Mail an hildegard.fuerst@gmx.de.

Fotostrecke
/

© Volker Bitzer

Diesen Artikel teilen: