Neuhausen ob Eck

Nichts wie raus: das Freilichtmuseum in Neuhausen ob Eck

28.07.2017

Schon direkt am Eingang zum Freilichtmuseum Neuhausen ob Eck ist klar: Hier taucht man ein in die Vergangenheit, und zwar mit allen Sinnen.

Jeden Tag um 14 Uhr (außer montags) zieht die Schweinehirtin mit ihren Schwäbisch-Hällischen Landschweinen durchs alte Dorf, der Hammer klingt aus der Schmiede, im Schwarzwaldtal rattert die Sägemühle und im Kaufhaus Pfeiffer aus Stetten am kalten Markt am Dorfplatz gibt es die wunderlichsten Dinge, die vielleicht nur noch Opa und Oma von früher kennen: Waschmittel im alten Pappkarton, besondere Nylonstrümpfe, natürlich Süßigkeiten aus dem Glas. Da kann man nur staunen. Das alles weckt die Neugier auf eine Erkundungstour, bei der man entdecken kann, wie das Leben auf dem Lande früher war!

Nichts wie raus: das Freilichtmuseum in Neuhausen ob Eck

Fotos: Donaubergland GmbH (4)/Volker Bitzer

Schon gleich im Tagelöhnerhaus neben dem Schafstall aus Obernheim am Rande des Albdorfes empfängt einen die Welt der Armut und Einfachheit. Es ist eng in dem kleinen Häuschen vom Heuberg. Es gibt nur 30 Quadratmeter zum Wohnen für neun Bewohner. Es riecht nach Ziege im Haus, in der kleinen Stallscheune kann man tatsächlich zwei Ziegen finden, früher die „Kühe des kleinen Mannes“. Und über dem Stall in ärmlichen Kojen auf dem Boden und auf rauen Strohsäcken findet man die Betten der fünf Kinder im Haus. Zugig muss es gewesen sein und furchtbar kalt im Winter.

Viel Steine gab's und wenig Brot

Nicht viel idyllischer ist es im feuchten Webkeller des Nachbarhauses. Aus Dautmergen haben es die Museumsverantwortlichen vor rund dreißig Jahren originalgetreu ins Museumsdorf umgesetzt. Hier steht es beispielhaft für viele Bauernhäuser auf der Alb, in denen sich die Bewohner vor 150 Jahren mit der Verarbeitung von Flachs und der Leineweberei ein kärgliches Zubrot verdienen mussten. Von der Landwirtschaft allein konnten sie auf der Alb kaum leben, denn die steinigen Äcker machten nicht nur den Pflug stumpf, sondern lieferten auch nur wenig Ertrag. Mühsam war das tägliche Geschäft für unsere Vorfahren.

Nichts wie raus: das Freilichtmuseum in Neuhausen ob Eck

Fotos: Donaubergland GmbH (4)/Volker Bitzer

Es zieht einen unweigerlich zum Dorfplatz des Museumsdorfes. Idyllisch wirkt's - auf den ersten Blick. Ein Platz auf dem man gerne im Schatten ausruht, dem Plätschern des Dorfbrunnens lauscht und dem Treiben der Akteure und Besucher zuschaut. Um den Platz im historischen schwäbischen Albdorf gruppieren sich neben dem alten Kaufhaus die Dorfkirche, Bauernhaus, Dorfbrunnen, Farrenstall und Schmiede, so als ob sie immer schon hier stünden. Jedes der Häuser hat seine eigene Geschichte zu erzählen – und die seiner Bewohner, die hier gelebt und gearbeitet haben. Arme und Reichere, Einheimische und Zugezogene.

Der Schaf- und Farrenstall aus Brittheim, gleich hinter der Dorfschmiede, steht als Original stellvertretend für viele solcher Schafställe auf der Alb und kündet ebenso von der Bedeutung der Schafhaltung und der Schäferei auf der Schwäbischen Alb wie auch von der Entwicklung der Viehzucht seit dem 19. Jahrhundert. Fast schamhaft verbirgt sich im rückwärtigen Teil die ursprüngliche karge Schäferwohnung, die später als Armenwohnung genutzt wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg fanden hier Heimatvertriebene aus ostdeutschen Gebieten Unterschlupf. In einer neuen Sonderausstellung unter dem Titel „Angekommen. Angenommen? Heimatvertriebene zwischen Hier und Dort“ beschäftigt sich das Museum in diesem Jahr besonders mit dem Schicksal der Heimatvertrieben nach dem Zweiten Weltkrieg.

Nichts wie raus: das Freilichtmuseum in Neuhausen ob Eck

Fotos: Donaubergland GmbH (4)/Volker Bitzer

Ein Muss für alle kleinen und großen Besucher beim Rundgang durch das alte Albdorf ist natürlich der Blick ins Schul- und Rathaus aus Bubsheim auf dem Heuberg. Es wird garantiert nicht bei einem Blick bleiben, hier könnte man stundenlang verweilen und immer wieder Neues entdecken. Das mächtige Gemeindehaus erzählt Geschichten vom Schulmeister und den Schülern, die im Sommer eben bei der Ernte helfen mussten, statt zum Unterricht zu gehen. Es erzählt vom Schultes, der hier seines Amtes waltete, und von einer Gemeindeverwaltung, die vor 40 Jahren noch funktionierte wie 100 Jahre zuvor. Und oben unterm Dach birgt der kleine Dorfarrest Geschichten von Dorfbewohnern, von denen so mancher einmal eine Nacht eingesperrt verbringen musste.

Nichts wie raus: das Freilichtmuseum in Neuhausen ob Eck

Fotos: Donaubergland GmbH (4)/Volker Bitzer

Alles eng und unter einem Dach

Wie in einem richtigen, lebendigen Geschichtsbuch kann man auf dem Gelände des Freilichtmuseums – gleichsam wie ein neues Kapitel – nach dem Albdorf auch noch den Schwarzwald entdecken. Rund um den „Haldenhof“ aus Schonach steht am Talhang eine vollständige Schwarzwälder Hofanlage. Mühle und Säge sind regelmäßig in Betrieb, im alten Schwarzwälder Rauchhaus weckt der Geruch bei so manchem Besucher besondere Erinnerungen an die Welt seiner Großeltern. Was sich hier einst wohl tagtäglich abgespielt haben muss? Wo Bauern, Gesinde und Tiere auf engem Raum und unter einem Dach zusammenlebten.

Neu zu entdecken gibt es gleich hinter dem Schwarzwaldhof ein außergewöhnliches Spielgelände. Naturnah gestaltet und von Kindern mitentwickelt, ist das Spielgelände schon jetzt eine der beliebtesten Attraktionen im Museum – vor allem natürlich für Kinder! Köhler- oder Gruselturm, Kletter-Webrahmen, Matschplatz mit Wasserrad, die Seilbahn und vieles mehr gehen auf die Ideen der selbst Kinder zurück. Für Kinder ebenso ein Paradies wie die vielen Aktionen und Angebote während der Sommerferien, wenn die Kinder auch aktiv das Museumsdorf kennen lernen – beim Mitmachen, Spielen, Basteln und Handwerken oder wenn am Märchentag die „Hexe Raija“ jeden in die geheimnisvolle Welt der Märchen und Sagen entführt.

Volksmusiktag im September

Eher eins auf die Ohren bekommen die Besucher beim Volksmusiktag im September, zu dem bis zu 30 verschiedene Musikanten-Gruppen aus Baden-Württemberg, Bayern und der Schweiz zusammenkommen. Traditionelle alte Dorfmusik zum Mitsingen und Mittanzen. Da wird in den historischen Häusern musiziert, was das Zeug hält! Auf dem Dorfplatz darf getanzt werden, wenn die Musik spielt. Instrumentenbauer erläutern ihre Kunst und für die Kinder ist vieles geboten, vom Tanzkurs bis zum Instrumentenbasteln.

Höhepunkt für alle Sinne ist dann die Neuhauser Kirbe am ersten Oktoberwochenende, der historischen Jahrmarkt. Umrahmt von Festzeltbetrieb, Jahrmarktattraktionen, Fahrgeschäften und alten Jahrmarktsspielen findet der traditionelle Bauern- und Handwerkermarkt statt. Entlang der Wege, über den Dorfplatz bis hinaus zur Seilerei erstrecken sich unzählige Stände. Dazwischen zeigen Handwerker, wie früher getöpfert, geschmiedet, genäht und geschustert wurde.

Info Das Freilichtmuseum Neuhausen ob Eck ist ein familienfreundliches Museum. Kinder bis einschließlich 16 Jahre haben freien Eintritt! Näheres unter Telefon 07461/926 3204; Email info@freilichtmuseum-neuhausen.de; www.freilichtmuseum-neuhausen.de. Infos zur Region: www.donaubergland.de

 

Warum spinnen die denn da oben, auf der Schwäbischen Alb?

Für Kleinbauern auf der Schwäbischen Alb bedeutete der Anbau von Flachs einiges – vor allem jede Menge Arbeit. Der Zugewinn bestand in einem zusätzlichen Einkommen zur kärglichen Landwirtschaft, das den Kampf ums tägliche Überleben immerhin etwas erleichtern konnte.

Nichts wie raus: das Freilichtmuseum in Neuhausen ob Eck

Fotos: Donaubergland GmbH (4)/Volker Bitzer

Zwar gedeiht die Flachspflanze unter den rauen Bedingungen der Alb, sie fordert dafür aber viel an Pflege ein. Wer früher Flachs säte, blieb so lange dabei, bis er das fertige Produkt – die Leinwand – in Händen hielt. Bis dahin war es ein langer Weg: erst raufen, dann trocknen, riffeln, rösten (rotten), darren, brechen, schwingen, hecheln … – und abschließend spinnen und weben.

Für das heutige Verständnis formuliert heißt das: die Pflanzen wurden nicht gemäht, sondern ausgerissen; sie müssen von den Samenkapseln getrennt werden, bevor sich die eigentlichen Fasern von den holzigen Pflanzenteilen aufwendig herauslösen und auskämmen lassen. Nun erst sind solche Fasern gewonnen, die auch für das Spinnrad taugen.
Die fertigen Fäden konnten noch, je nach Art und Verwendung des Stoffes, gefärbt werden – und dann ab damit in die „Dunke“. „Gemeint ist ein Kellerloch mit Lehmboden, in dem der Webstuhl stand“, so Kulturwissenschaftler Christof Heppeler vom Freilichtmuseum Neuhausen ob Eck. „Das feuchte Klima wirkte qualitätssteigernd auf den entstehenden Stoff, bescherte dem Weber jedoch höchst ungesunde Arbeitsbedingungen, zumal es natürlich in der „Dunke“ immer dunkel und kalt war.“

Dagegen zeigt sich die Arbeit am Spinnrad als der angenehmste Teil der Flachsverarbeitung. Wer kennt sie nicht, die idyllischen Darstellungen von Bauernstuben und Illustrationen von Märchen, auf denen das Spinnen mehr als „chilliger“ Zeitvertreib denn als harte und notwendige Arbeit erscheint. „Die Wirklichkeit der sogenannten Spinnstuben sah allerdings über Jahrhunderte anders aus. Diese abendlichen Zusammenkünfte waren der Obrigkeit immer ein Dorn im Auge. Es sollen sich dort „allerley Uhnzucht“ und „Ohnanständigkeiten“ zugetragen haben“, so Heppeler.

Spätestens zu Beginn des 20. Jahrhunderts verschwand die Kultur des Flachsanbaus und der Leinverarbeitung von der Alb. Aus erwartbaren Gründen, denn Industrie und Baumwolle machten diese Lebensform in jeder Hinsicht überflüssig. Wer jedoch einmal ein Spinnrad oder einen Webstuhl in Aktion sehen möchte, der ist im Freilichtmuseum am richtigen Ort. Hier werden all die beschriebenen Arbeitsschritte nicht nur vorgeführt, junge und ältere Besucher können sich auch selbst bei Mitmachprogrammen und Kursen in diesen alten Arbeitstechniken ausprobieren.

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