Balingen

Strasser-Areal: eine Chronologie des Scheiterns

02.11.2016

von Benno Schlagenhauf

Die Eyach-Arkaden mit exklusiven Wohnungen, ein Lebensmittelmarkt, eine Brauereigaststätte – ambitionierte Überlegungen und Pläne für das Balinger Strasser-Areal gab und gibt es viele. Die Realität sieht anders aus: Schotterparkplatz statt Einkaufstempel.

  • Februar 2003: Die Stadt Balingen als Eigentümer kündigt allen Mietern in der ehemaligen Schuhfabrik Strasser. Das Balinger Volkstheater und zahlreiche Bands müssen sich nach neuen Probelokalen umsehen; mehrere Vereine nach neuen Lagerorten. Die Stadt hofft bis Mitte 2004 auf Investoren.

 

Strasser-Areal: eine Chronologie des Scheiterns

© Klaus Irion (Archiv)

Die ehemalige Schuhfabrik Strasser soll für einen modernen Einkaufstempel weichen.

  • April 2007: Der Balinger Gemeinderat beauftragt die Hanseatische Betreuungs- und Beteiligungsgesellschaft (HBB) mit der Planung eines Einkaufszentrums. Geplanter Baubeginn: Frühjahr 2008; geplante Eröffnung: Frühjahr 2009.

 

  • Oktober 2008: Die HBB-Investoren verabschieden sich von ihren Plänen auf dem Strasser-Areal. Die Gründe sind vielfältig: die Finanzkrise, die Niederlassung von H&M in Ebingen, der Leerstand im ehemaligen Multi-City, … Die Stadt hält unterdessen an ihren Plänen von einem großen Einkaufszentrum fest. 

 

  • Juni 2010: Neuer Anlauf mit neuem Planungsbüro: Mittlerweile wünscht sich die Stadtverwaltung für das Strasser-Areal keinen reinen Einkaufstempel, sondern auch innenstadtnahe Wohnungen. 

 

Strasser-Areal: eine Chronologie des Scheiterns

Die Grafik zeigt, wie die Eyach-Arkaden auf dem Strasser-Areal einmal aussehen könnten.

  • Juni 2010: Der Gemeinderat beauftragt die Activ-Group aus Schemmerhofen mit der Ausarbeitung einer Konzeption für die Strasser-Brache. 

 

  • November 2011: Im Gemeinderat werden die Pläne und das Modell für die Eyach-Arkaden vorgestellt. In den 20-Millionen-Neubau sollen ein Müller-Drogeriemarkt, ein New Yorker, die Deichmann-Tochter Myshoes und ein großer Elektronikmarkt – entweder Media Markt oder Saturn – einziehen. Geplanter Baubeginn: Herbst 2012; geplante Eröffnung: Ende 2013. 

 

Strasser-Areal: eine Chronologie des Scheiterns

© Hannes Mohr (Archiv)

Und so sehen die Eyach-Arkaden im 3D-Modell aus.

  • April 2012: Der geplante Abrisstermin verstreicht und die ehemalige Schuhfabrik steht noch. Ein neuer Termin wird für das 4. Quartal angepeilt. 

 

  • Juli 2012: Widerstand aus der Nachbarschaft: Anwohner aus der Straße „Im Roßnägele“ befürchten durch den großen Neubau und Lärm durch Anlieferverkehr Beeinträchtigungen. 

 

Strasser-Areal: eine Chronologie des Scheiterns

© Hannes Mohr (Archiv)

Anwohner Stefan Burghard (links) erläutert dem Balinger Stadtbaumeister Ernst Steidle (rechts) und Stadträten seine Befürchtungen.

  • Januar 2013:Die Vergabe der Abbrucharbeiten verzögert sich. Grund sind die gegenseitigen Anschuldigungen zweier konkurrierender Abbruchunternehmen. Für den Abriss wird nun das Frühjahr angepeilt. 

 

  • Januar 2013: Wohnungen im Netz: Noch bevor das alte Strasser-Gebäude fällt, werden schon Arkaden-Wohnungen bei Ebay beworben. 

 

  • März 2013: Die Abbruch-Vorarbeiten beginnen. Die Balinger Einzelhändler befürchten unterdessen neue Konkurrenz durch die Filialisten in den Eyach-Arkaden.

 

  • April 2013: Ein Fall für die Gerichte: Anwohner reichen Klage gegen die Arkaden-Pläne ein. Michael Wagner, Leiter des Stadtplanungsamts: „Wir warten erst mal ab (...) alles ist besser als ein brachliegendes Gelände, das dann wieder als wilder Parkplatz benutzt wird.“

 

  • Juli 2013: Die Anwohnerklage von Stefan Burghard wird am Sigmaringer Verwaltungsgericht abgewiesen. Die Einschränkungen hielten sich laut Urteil der Richter in Grenzen; der Neubau sei zumutbar.

 

  • Oktober 2013: Der Gemeinderat vergibt die Abrissarbeiten. Mit reichlich Verzögerung und Mehrkosten von 65.000 Euro. 

 

  • Oktober 2013: Endlich rollt der Abrissbagger an: Mit Insgesamt eineinhalb Jahren Verzögerung beginnt der Abbruch der ehemaligen Schuhfabrik. 

 

Strasser-Areal: eine Chronologie des Scheiterns

© Michael Würz (Archiv)

Im November fällt der markante Schornstein des Fabrikgebäudes.

  • Dezember 2013: Der Abbruch läuft noch, da springen die potenziellen Arkaden-Mieter Media-Markt, New Yorker und Drogerie-Müller ab. Gründe dafür seien der ungewisse Zeitrahmen und der Ausgang des Rechtsstreits. Die Stadt und die Schemmerhofer Activ-Group müssen umplanen, fassen eine abgespeckte Arkaden-Variante ins Auge. 

 

  • Dezember 2013: Die Schemmerhofer Activ-Group möchte das mit der Stadt Balingen vertraglich zugesicherte Rücktrittsrecht verlängern. Dieses war durch die zahlreichen Verzögerungen ausgelaufen. OB Reitemann hält an den bisherigen Arkaden-Plänen fest. 

 

  • Januar 2014: Anwohner scheitern in zweiter Instanz: Auch der Verwaltungsgerichtshof Mannheim lehnt die Klage ab. 

 

  • Februar 2014: Anwohner Stefan Burghard zieht seine Klage zurück. Juristisch gesehen steht den Eyach-Arkaden nichts im Wege. 

 

Strasser-Areal: eine Chronologie des Scheiterns

© Karl-Otto Müller (Archiv)

Das Strassergebäude liegt in Schutt und Asche – die Pläne für die Eyach-Arkaden auch.

  • März 2014: Die Schemmerhofer Activ-Group und die Balinger Wohnbaugenossenschaft steigen aus dem Projekt Eyach-Arkaden aus und geben es an die Stadt zurück. Zwar gab es zwischenzeitlich sowohl für 85 Prozent der Gewerbeflächen als auch für 80 Prozent der Wohnungen abgeschlossene Mietverträge oder konkrete Reservierungen, aber wegen des des verhinderten Baubeginns konnten diese Verträge nicht gehalten werden. Nach 2008 scheitern die Pläne von einem Einkaufstempel auf dem Strasser-Areal zum zweiten Mal. 

 

  • Oktober 2014: Das Strasser-Areal liegt ungenutzt brach, ohne dass es bisher neue Nutzungspläne gibt. Unterdessen werden die übrigen Schotterberge vom Abbruch weggeräumt und für einen Schotterparkplatz am Bahnhof verwendet.

 

Strasser-Areal: eine Chronologie des Scheiterns

© Klaus Irion (Archiv)

Das Gelände liegt ungenutzt brach – die Natur holt es sich zurück.

  • Juni 2015: Baudezernent Ernst Steidle wird in den Ruhestand verabschiedet. Sein Strasser-Projekt vermochte er nicht zu vollenden. Dies soll nun sein Nachfolger Michael Wagner tun. 

 

  • Juni 2015: OB Reitemann sucht weiterhin nach Investoren für das Gelände. Dafür gibt er sich selbst ein weiteres Jahr Zeit. Vorübergehend einen Parkplatz oder eine Dirt-Bike-Strecke einzurichten ist für ihn keine Option. 

 

  • Juli 2015: „Bitte keine Neuauflage der Eyach-Arkaden“: FDP-Stadtrat Dr. Dietmar Foth stellt alternative Überlegungen an: eine Brauereigaststätte, ein Künstlerhaus, ein Ideenwettbewerb, in den die Bürger einbezogen werden. 

 

  • Oktober 2015: Dr. Dietmar Foth konkretisiert seine Pläne. „Eine namhafte süddeutsche Brauerei würde einsteigen“. 

 

  • Dezember 2015: Im Gemeinderat werden die Pläne für eine abgespeckte Variante der Eyach-Arkaden präsentiert. In den Vorstellungen der Geschäftsführer des Engstlatter Projektentwicklers PMG sollen sie einen H&M, einen Drogerie- Müller und dazwischen eine Einkaufsmall beheimaten. In direkter Nachbarschaft solle ein Lidl-Markt entstehen. Verhaltene Zustimmung bei den Ratsmitgliedern. Auch die Anwohner wären mit im Boot. 

 

  • April 2016: Nur ein Aprilscherz des Balinger Sportartikelhändlers Highlight: eine Actionsportakademie mit Skateanlage, Yogazentrum, Bibliothek, Nachhilfeeinrichtung und Arztpraxen. 

 

  • Mai 2016: Stadtrat Werner Jessen schlägt vor, das Strasser-Areal während der Sanierung der Arbeitsamt-Tiefgarage als Ausweichparkplatz zu nutzen. OB Reitemann lehnt den Vorschlag zunächst ab. 

 

  • Juni 2016: OB Reitemann ändert seine Meinung. Nun wird das Strasser-Areal doch zum Ausweichparkplatz.

 

Strasser-Areal: eine Chronologie des Scheiterns

© Klaus Irion (Archiv)

Seit über zehn Jahren versuchen die Balinger Stadtplaner ihren Traum vom Einkaufstempel auf dem Balinger Strasser-Areal zu realisieren. Mehr als ein Schotterparkplatz ist bisher nicht herausgekommen.

  • September 2016: Die Stadt plant repräsentative Erhebungen und Befragungen, um die Wünsche der Bürger für das Strasser-Areal umzusetzen. Außerdem plant sie eine Bürgerdialog-Veranstaltung. Unterdessen stellt der Frommerner Architekt Ralph Burghardt seine Konzeption für das Strasser-Areal vor. Auf www.eyachviertel.de gibt es detaillierte Pläne, die auch eine Brauereigaststätte – im Gespräch ist Dinkelacker – mit einschließen. 

 

  • Oktober 2016: Der jüngste Rückschlag für die Stadtplaner: Die Modekette H&M erteilt Balingen eine Absage. Im Januar 2017 soll es eine Sondersitzung geben, in der es darum geht, wie es mit dem Strasser-Areal weitergeht. Ob die geplanten Bürger-Infoveranstaltungen stattfinden ist unklar. Unterdessen steht das Konzept von Ralph Burghardt weiterhin zur Disposition. 

 

Fotostrecke
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© Klaus Irion

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