Obernheim

Bianca startet wieder durch

02.09.2016

von Daniel Seeburger

Der ZOLLERN-ALB-KURIER hatte im Juni auf das Leid der 14-jährigen Bianca Nufer aus Obernheim aufmerksam gemacht. Jetzt geht es dem Mädchen wieder besser – unter anderem dank unserer Leser.

Bianca startet wieder durch

© Daniel Seeburger

Was vor drei Monaten noch unmöglich gewesen wäre, ist heute kein Problem mehr für Bianca Nufer (14): Radfahren auf dem Hometrainer.

Vor zwei Monaten saß mir in der Küche der Familie Nufer in Obernheim ein trauriges, bleiches, unsicheres Mädchen gegenüber. Sie hatte dunkle Ringe um die Augen. Die 14-jährige Bianca Nufer war gezeichnet von ihrer schweren Krankheit. Wenige Wochen später hat sie ihren Lebensmut und ihren Optimismus wieder gefunden. Innerhalb von zehn Wochen hat sie zwölf Kilogramm zugenommen. Sie macht Scherze, lacht viel und erzählt.

Die vergangenen zwei Jahre würde Bianca Nufer am liebsten aus ihrem Gedächtnis streichen. Nach einem eigentlich harmlosen Unfall beim Trampolinspringen beginnt für sie eine Odyssee der Schmerzen und des Schreckens. Bei einer Operation am Knöchel fängt sich die 14-Jährige einen multiresistenten Keim ein. Antibiotika schlägt nicht an. Schließlich bekommt das Kind sogar Morphium, um die höllischen Schmerzen zu lindern.

Wochenlange Krankhausaufenthalte in verschiedenen Kliniken schwächen Bianca immer mehr. Zum Schluss ist ihr Bein bis zur Leiste massiv angeschwollen. „Es tat so furchtbar weh“, berichtet sie. An geregelten Schlaf ist nicht mehr zu denken. Was Elke Nufer, Mutter von Bianca, besonders getroffen hat: Ein Gutachter diagnostiziert bei ihrem Kind ein Münchhausen-Syndrom.

Doch schon der nächste Arzt findet keinerlei Hinweise darauf und eine hinzugezogene Psychologin bescheinigt Bianca Nufer psychische Stabilität. Mit dieser obskuren Münchhausen-Diagnose müssen sich Mutter und Tochter noch heute herumschlagen. Immer wieder wird sie vor möglichen Behandlungen darauf angesprochen und die Ärzte sind skeptisch.

Schließlich geht Elke Nufer mit ihrem Kind zu einem Heilpraktiker ins Allgäu. Er ist die letzte Hoffnung für Mutter und Tochter. Und das Wunder geschieht: Die Therapie mit Schlangengift schlägt an. Allerdings übernimmt die Kasse die hohen Kosten nicht. Elke Nufer wendet sich an die Leser des ZOLLERN-ALB-KURIERS – und die helfen tatkräftig mit.

Über 15.000 Euro sind zusammengekommen, Bianca Nufer kann in den nächsten Monaten weiterbehandelt werden. Dazu gehört unter anderem eine ständige Überwachung wegen der aggressiven Keime. Und es sieht nicht schlecht aus: Die Wunden haben sich zwischenzeitlich fest verschlossen. Zuhause bewegt sich die 14-Jährige manchmal sogar ohne Gehhilfen.

„Sie ist auf dem Weg der Besserung“, verrät ihre glückliche Mutter. „Mit mir geht es steil bergauf“, bekräftigt ihre Tochter. Sie humpelt zu einem Hometrainer und radelt – das wäre noch vor zehn Wochen unmöglich gewesen. „Es war Rettung in letzter Minute“, ist sich Elke Nufer sicher. Ihre Tochter habe sich physisch und psychisch erholt, sagt die 44-Jährige.

Rund 30 unserer Leser haben sich in den vergangenen Wochen bei Elke Nufer gemeldet. Sie werden von ähnlichen Symptomen wie Bianca Nufer gequält. Ob es für alle Betroffenen die richtige Therapie ist, kann die Obernheimerin nicht sagen, bei ihrer Tochter habe sie aber gut angeschlagen: „Mein Kind hat wieder ihre Energie von früher zurück.“

Das Mädchen, das vor zwei Monaten nicht mal mehr auf ihrem linken Bein stehen konnte, geht heute dreimal in der Woche zur Krankengymnastik, macht überwachtes Zirkeltraining. Die 14-Jährige bekommt von der Krankenkasse ein Fahrrad mit Stützrädern, damit sie bei schönen Wettern draußen radeln kann.

Im September beginnt für die junge Obernheimerin wieder der Ernst des Lebens. Nach 18 Monaten wird sie erstmals wieder die Schule besuchen. „Da freue ich mich so richtig darauf“, sagt sie. Vom Sport- und Schwimmunterricht ist sie zwar noch einige Zeit befreit, aber sonst kann sie sich wieder so richtig ins Schulgetümmel stürzen.

„Es ist beruhigend zu wissen, wie Menschen zusammenhalten und sich um ein einzelnes Kind sorgen“, sagt Elke Nufer, die immer noch sprachlos ist über die große Solidarität, die ihre Tochter in den vergangenen Wochen erfahren hat. Zu den Schulkameraden, Freunden, Bekannten, die an der Seite ihrer Tochter ausgeharrt haben, sind viele Unbekannte gekommen, die geholfen haben. Einen besonderen Dank hat Elke Nufer für Biancas Hausarzt parat: „Er hat uns immer unterstützt“. „Bianca war ganz am Ende“, sagt Elke Nufer. Jetzt hat sie neuen Lebensmut. Es geht ihr gut.

 

Rund 30.000 Tote jährlich durch multiresistente Erreger

Ernst Bianca Nufer wurde mit ihrem Leiden nicht von allen Ärzten ernstgenommen. Man unterstellte ihr sogar ein Münchhausen-Syndrom. Neueste Zahlen aber beweisen, wie ernst die Lage in Deutschland zwischenzeitlich ist.

Todesfälle Die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH) geht von rund 30.000 Todesfällen jährlich durch multiresistente Erreger in Krankenhäusern aus. Zum Vergleich: 2015 sind bundesweit 3475 Menschen bei Autounfällen ums Leben gekommen.

Krankenhaus Die multiresistenten Keime werden oft von Patienten selbst ins Krankenhaus eingeschleppt. Laut einer Untersuchung des Deutsche Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) kommen fast zehn Prozent der Keime über Patienten in die Kliniken.

MRE Multiresistente Erreger (MRE) sind Bakterien, die eine Resistenz gegen Antibiotika aufgebaut haben. Vor allem geschwächte Menschen, Kinder und Senioren sind anfällig für eine Infektion mit solchen Krankheitserregern.

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