Balingen

Ursachen dieser heißen Phase liegen im kalten Krieg

31.01.2015

von Karl-Otto Müller

„Wir haben Krieg“ – in drei Worten fasste Reinhold Schlegel das kurzweilige Referat des Osteuropa-Kenners Rainer Lindner zusammen. Tatsächlich zeichnete der Referent ein ernüchterndes Bild der Lage.

Die Ukraine-Krise? Sie war vorherzusehen. 2008 schon hatte Professor Rainer Lindner, Geschäftsführer des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft, mit Blick auf die Krim vor einem neuen „Konfliktherd im Schwarzmeerraum“ gewarnt.

Wer glaubte wirklich, dass Russland tatenlos zuschaue, wie ihm die Nato Meter um Meter näherkomme? Es fehle uns wohl am Verständnis, doch sollten wir uns um das Verstehen der Reaktionen aus Moskau bemühen, empfahl Lindner. Dieses könne man aus der Geschichte ziehen. Kaum jemand von uns habe 1991 den Zusammenbruch der Sowjetunion wahrgenommen. Ein Land nach dem anderen spaltete sich ab und suchte die Nähe zum Westen.

Für die deutsche Wirtschaft indes entwickelte sich in Osteuropa einer der wichtigsten Absatzmärkte, rund 6000 Firmen seien aktuell mit Niederlassungen in Russland vertreten. Große und Kleinere. 80 Milliarden Euro machte das Russlandgeschäft dieser deutschen Unternehmen im Jahre 2012 noch aus. Die Ukraine-Krise, die EU-Sanktionen, sie straften Russland, vor allem aber belasteten sie unsere Unternehmen.

Nach Schätzungen Lindners seien dadurch 2014 in Deutschland bereits 50 000 Arbeitsplätze weggefallen und zehn Milliarden Euro Schaden entstanden. Aktuelle Umfragen unter 200 Firmenchefs signalisieren: Man sei bereit, noch bis zum Sommer abzuwarten, dann aber würde man einschneidende Entscheidungen treffen müssen. Nicht wenige der befragten Firmenchefs spielen aktuell schon „Exit-Szenarien ab 2016“ durch. Diese würden gut 70 000 Arbeitsplätze in Russland, aber auch viele hierzulande kosten. In diesem Jahr geplante Investitionen von 200 Millionen Euro seien zunächst aufgeschoben. Die Umfrageergebnisse, die am Montag vorgestellt würden, „werden hoffentlich zum Umdenken führen – bei Putin und in Berlin“, erwartet der Russland-Experte.

Professor Lindner machte in seinem Vortrag vor Mitgliedern des CDU-Wirtschaftsrats im Frommerner RWS-Forum keinen Hehl aus seiner Kritik an der aktuellen Osteuropa-Politik Berlins: „Wir glauben, dass sich dieser Konflikt nicht durch Sanktionen lösen lassen wird.“ Die sich aktuell verschärfende Situation der Krise sei bester Beleg dafür. Für noch gefährlicher halte er die aktuelle Ausweitung der Strafmaßnahmen.

Denn der Konflikt ist nach Ansicht Lindners in der Historie begründet, er sei eine Nachwirkung des zumindest in Russland von einer „vormodernen Gesellschaft nicht bewältigten kalten Krieges“. Diese Gesellschaft reagiere „nicht nach unseren Regeln“, zumal in ihren Augen aktuell auf der Krim die einst verfeindeten Blöcke noch immer aufeinandertreffen.

Die dringend benötigte Lösung dieses Konflikts – bevor es gar in einen Flächenbrand ausarte – kann nach Ansicht Lindner nur auf „trilateraler Ebene“ mit Russland, Ukraine und Deutschland an einem Tisch gefunden werden. Ja, so entspann sich gar in anschließender Diskussionsrunde mit Unternehmern, könnten sich Deutschland und die EU für Wladimir Putin als akzeptierter Verhandlungspartner anbieten, wenn sie zuvor ihre Position zu den USA klar darlegten.

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