Balingen

Beim Fußballfest ist die Herkunft egal

28.07.2014

von Benno Schlagenhauf

„Ich liebe Thomas Müller“ – Mit dieser spontanen Liebesbekundung zur deutschen Nationalmannschaft und ihrem Stürmer hat Atta Ullah Virk die Sympathien unserer Facebook-Fans im Sturm erobert. In unserem Video vom Autokorso nach dem Halbfinalsieg gegen Brasilien zeigte der Pakistani stolz auf sein Deutschland-Shirt und warf der Nationalelf Kusshände zu. Wir haben uns mit ihm über Fußball, seine Heimat und natürlich Thomas Müller unterhalten.

Seit knapp zwei Jahren lebt Atta Ullah Virk in Deutschland. Seit September 2013 in Balingen, davor in Hechingen. „Ich habe hier Asyl beantragt“, erklärt der 27-jährige, der in Gujranwala nahe der indischen Grenze, geboren wurde. Virk gehört der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft innerhalb des Islams an. „Love for all Hatred for none – Liebe für alle Hass für niemanden“, heißt die Philosophie, die hinter der Glaubensrichtung steckt – Virk hat das Motto als Titelbild auf seiner Facebookseite.

Andere Islamrichtungen tolerieren die Ahmadiyya nicht und verfolgen deren Anhänger. Weil Virk seinen Glauben in Pakistan nicht ausleben konnte, flüchtete er nach Deutschland.

„In Pakistan gibt es große Probleme. Ich bin froh und dankbar, hier zu sein und ein neues Leben beginnen zu können. In Deutschland bin ich frei und kann zu meinem Glauben stehen, in Pakistan musste ich mich verstecken.“

Für dieses neue Leben hat Virk seine Heimat, seine Familie und seine Ehefrau zurückgelassen. „Ich vermisse sie sehr. Ich bin in meinem Zimmer ganz alleine. Darum gehe ich viel raus, unter die Menschen.“

Virk hat in Pakistan Abitur gemacht und einen Master in Wirtschaftsverwaltung. Nach seiner Ankunft in Deutschland hat er  an der Volkshochschule Deutsch gepaukt. „Natürlich habe ich auch viel im Gespräch mit Deutschen und beim Fernsehen gelernt.“ Im Gespräch ist er stets bemüht, Deutsch zu sprechen, auf Englisch weicht er nur ungern, bei einzelnen Wörtern aus.

Atta Ullah Virk möchte unbedingt arbeiten. „Ich möchte Deutschland mit meiner Arbeit etwas zurückgeben, denn Deutschland hat mir ein neues Leben gegeben.“ Am liebsten möchte Virk bei einer Bank arbeiten – ein Praktikum bei der Sparkasse hat er schon gemacht. Das Problem: Mit seinem Flüchtlingspass darf Virk nicht arbeiten. Er wünscht sich deshalb, dauerhaft mit neuem Pass in Deutschland bleiben zu dürfen.

Der junge Mann hat Hoffnung: „Ich habe gute Zeugnisse. Mein Anwalt meint, die Chancen stehen nicht schlecht.“ Auch die Caritas habe ihn stets motiviert, an sein Ziel zu glauben.

Die Umstellung von Pakistan auf Deutschland war groß: „Ich habe hier zum ersten Mal in meinem Leben Schnee gesehen, aber ich mag das deutsche Wetter.“ Bei der Eingewöhnung haben ihm auch die Begegnungen mit deutschen Bürgern geholfen: „Die Menschen hier sind sehr freundlich, hilfsbereit und haben immer ein Lächeln im Gesicht.“

Außerdem sind die Menschen fußballverrückt, wie Atta Ullah Virk spätestens bei der Fußball-WM erfahren durfte. In Pakistan ist das anders – dort sind Hockey und Cricket die wichtigsten Sportarten. Nichtsdestoweniger feuerte Virk die deutsche Elf an. Ein Freund aus Balingen hatte ihn zum Public Viewing in die Stadthalle mitgenommen. „Es hat so viel Spaß gemacht, die ganze Nacht wurde gejubelt.“ Mit deutschen Fans habe er nur positive Erfahrungen gemacht: „Meine Herkunft war den Leuten egal, wir haben einfach zusammen gefeiert.“ Nach unserem Video haben ihn die Leute beim Public Viewing zum Finale sogar wiedererkannt: „Es kamen einige auf mich zu, die sagten ,Hey, du bist der aus dem Video!' Eine Familie wollte sogar ein Foto mit mir machen.“

Und wieso feuert er gerade die deutsche Mannschaft an? „Brasilien hat Neymar, Portugal Christiano Ronaldo und Argentinien hat Messi – aber Deutschland hat ein Team“, so Virk.

Ein Spieler hat es Virk dabei besonders angetan: Thomas Müller. „Wenn andere Mannschaften und Spieler aus dem Bus aussteigen, laufen sie an den Fans vorbei. Thomas Müller gibt immer Autogramme. Er ist nicht abgehoben. Thomas Müller singt auf dem Rasen die gleichen Lieder wie die Fans in der Stadthalle. Er ist ein ,common man', er ist einer von Euch“, sagt Virk, der spontan Geburtsort, Geburtsdatum und Körpergröße seines Idols aufzählt.

Am liebsten hätte der Fußballfan Thomas Müller und die Nationalmannschaft bei der Ankunft an der Fanmeile begrüßt, „aber das geht nicht, weil ich mit meiner Aufenthaltsgenehmigung nicht nach Berlin darf.“ Sein Traum ist es, die Nationalmannschaft und sein Idol einmal live zu sehen. Bei der Europameisterschaft ist der Nationalmannschaft auf jeden Fall die Unterstützung des wohl größten Thomas-Müller-Fan Pakistans sicher. Bis es soweit ist, drückt er dem Stürmer im Bayern-Trikot die Daumen.

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