Wenn die Bauchampel auf Rot springt

Von Pressemitteilung der Schule

An der Philipp-Matthäus-Hahn-Schule in Balingen fand ein besonderer Workshop zur Selbstbehauptung und Selbstverteidigung für Schülerinnen statt.

Wenn die Bauchampel auf Rot springt

Schülerinnen aus 18 Nationen lernen, sich zu behaupten.

Wie kann ich mich wehren? Wann bin ich in Gefahr? Und was bedeutet überhaupt Gewalt? Mit solchen Fragen haben sich mehrere Schülerinnen der VABO-Klasse an der Philipp-Matthäus-Hahn-Schule zwei Tage lang intensiv auseinandergesetzt.

VABO steht für Vorqualifizierung Arbeit und Beruf – ohne Deutschkenntnisse. Landläufig ist die Rede von „Flüchtlingsklassen“, aber diese Bezeichnung ist irreführend. Neben Mädchen und Jungen aus Syrien, Eritrea oder Somalia werden in den drei VABO-Klassen der PMH-Schule auch junge Migranten aus Kroatien, Portugal oder der Ukraine unterrichtet. Insgesamt kommen in Balingen im Moment achtzehn Nationalitäten zusammen. Die Unterrichtssprache ist daher ausschließlich Deutsch.

Dass es für die VABO-Schülerinnen und -Schüler aber um mehr geht als nur um Spracherwerb und den Übergang ins Berufsleben, zeigt der zweitägige Workshop, den das Lehrerteam um Gerlinde Bien organisiert hat. Die Mädchen beschäftigten sich mit Selbstbehauptung und Selbstverteidigung – finanziert wurde dieses Seminar von „Hilaritas“, dem nur mit Frauen besetzten Lions Club Balingen –, die Jungen aus der VABO absolvierten derweil einen Kochkurs bei der AOK.

In der Aula der PMH-Schule sind Tische und Stühle an den Rand geschoben, in der Mitte ist viel freier Raum, in dem die fünfzehn jungen Frauen agieren können. Angeleitet werden sie von Bianka Neußer, die seit zwanzig Jahren Kurse für Mädchen und Frauen durchführt; ihre Organisation „Jede kann sich wehren“ hat ihren Sitz in Gailingen bei Konstanz.

Die drahtige Trainerin stellt gleich eine persönliche Ebene zu den Schülerinnen her. Gerlinde Bien, die Leiterin der VABO-Klassen, ist auch dabei und greift bisweilen ein, wenn sie merkt, dass es zu schnell geht. Das Sprachniveau der Schülerinnen ist sehr unterschiedlich. Nicola zum Beispiel ist erst seit zwei Wochen hier, sie stammt aus Polen. „Die Körpersprache versteht aber auch sie“, meint Gerlinde Bien.

Um den Körper und seine Ausdrucksmöglichkeiten wird es in dem Workshop dann auch in erster Linie gehen. Bianka Neußer erklärt das Ziel des Seminars: „Ihr sollt erkennen: Was will ich und was will ich nicht? Und wie kann ich mich wehren?“ Dazu gibt es zunächst eine Vorstellungsrunde, bei der jede Schülerin sagen soll, was sie genau lernen möchte. „Angst überwinden“, sagt eine.

„Respekt für mich und andere“ wünscht sich eine andere. Rebecca aus Italien sagt: „Ich möchte die Bauchzeichen verstehen.“ Ihre Lehrerin Gerlinde Bien begreift sofort: „Du meinst ‚Bauchgefühl‘. Aber ‚Bauchzeichen‘ ist ein schönes Wort und passt ganz gut zum Gemeinten.“ Wie gut, wird klar, als Dozentin Neußer ihren eigenen Fachbegriff erklärt: „Wir sprechen von der Bauchampel. Ist diese grün, dann ist alles in Ordnung, fühle ich mich gut. Springt die Ampel auf Gelb, muss ich womöglich wachsam sein. Bei Rot bin ich in Gefahr.“

In den nächsten Stunden und am Folgetag lernen die jungen Frauen der VABO-Klassen, wie sie auf Gefahren reagieren können, welche Bedeutung Körperhaltung und Mimik, Stimmlage und Lautstärke haben. Mit verschiedenen Übungen werden Abwehrstrategien und Methoden zum Selbstschutz gelernt. Wichtig sei zum Beispiel ein aufrechter Gang, erklärt Trainerin Neußer. Wer sich klein mache, wirke unsicher und schwach. Also machen sich die Schülerinnen groß, lernen, die Schultern zurück zu nehmen, den Kopf anzuheben und mit beiden Beinen fest auf dem Boden zu stehen.

Es werden Angriffssituationen durchgespielt. Mit kurzen und laut gesprochenen Sätzen werden Belästigungen zurückgewiesen: „Lass mich in Ruhe! Hände weg!“ Was einfach klingt, muss von den VABO-Schülerinnen richtig eingeübt werden. Schließlich handelt es sich um eine Fremdsprache und Sätze wie diese stehen in keinem Lehrbuch. Dozentin Neußer fasst zusammen: Entscheidend sei immer, sich auf Provokationen nicht einzulassen, lieber schnell weg zu gehen, den Angreifer stehen zu lassen. Und wenn der sich nicht abweisen lässt? Dann müssten sich die Frauen lautstark wehren und auch gezielt treten. Mit Punchingsäcken wird das geübt.

Die fünfzehn Schülerinnen sind an beiden Tagen konzentriert und motiviert bei der Sache. Man kann geradezu beobachten, wie sehr sie das Thema beschäftigt, wie viele Gefühle und Gedanken es auslöst. „Genau darauf kam es mir an, als ich Bianka Neußer engagiert habe“, erklärt VABO-Kollegin Gerlinde Bien. „Reine Selbstverteidigungskurse gibt es viele, aber es geht darum, dass zuerst im Kopf etwas passiert. Entscheidend ist die mentale Einstellung. Daraus ergeben sich dann die Abwehrstrategien.“ Die jungen Frauen haben das verstanden.

Und die männlichen VABO-Schüler? „Denen hat der Kochkurs bei der AOK gut gefallen“, erzählt Sabrin aus Eritrea und lacht. „Sie haben gelernt, wie man Spaghetti kocht.“