Neues vom Albschreiber: Privates und die große Bühne

Von Bertram Schwarz

Panoramafenster an einer Seite, an den anderen Seiten gediegene Holzschränke, ein Sekretär und Glasvitrinen, darin zierliche Teetassen, alles in gleichem Abstand zueinander aufgestellt.

Neues vom Albschreiber: Privates und die große Bühne

Albschreiber Bertram Schwarz begleitet die Literaturtage.

Stilleben von Äpfeln und Blumen hängen an den Wänden, auch ihre Abstände austariert. In dieses Wohnzimmer bringt Angelika Overath scharf abbildende Beobachtungen magersüchtiger Mädchen und aggressionsgestörter Buben in der Psychiatrie, sie schildert en detail das Sterben ihres Hundes und die Auferstehung eines Vögelchens, der bei ihr zu Hause „mit kleingeschnittenen Bienenmaden“ aufgepäppelt wird und zum Dank dafür „auf die goldgeränderte Goethe-Ausgabe scheißt“. Overath erzählt immer wieder von ihrer Familie und nennt sich selbst schluckend eine „Gluckenmutter“.

„Brauchen Sie ein Taschentuch?“, ruft eine Frau aus dem Publikum. Dafür verleihe ich ihr den Schlagfertigkeitspreis. Es sollte nicht die einzige Frage der rund dreißig Zuhörerinnen und Zuhörer bleiben. Jemand wollte wissen, ob Overath auf einem humanistischen Gymnasium gewesen sei, und, noch besser: „Warum haben Sie dem Vögelchen keinen Namen gegeben, vielleicht Hansi oder so?“ Genauer betrachtet entstehen solche Fragen natürlich bevorzugt in der menschlichen Nähe eines Wohnzimmers und sind deshalb halt doch okay. Zumal Angelika Overath jede ernst beantwortet. Weil es in einem privaten Wohnzimmer vielleicht gar nicht anders geht.

Große Bühne dann am Abend: aus Berlin ist Starschauspielerin Katharina Thalbach angereist und fühlt sich sichtlich immer wohler im leicht abgerockten Thalia-Theater, solche Locations sollen in der Hauptstadt ja auch schwer in sein. Thalbach lässt die Figuren aus Jonassons „Die Analphabetin, die rechnen konnte“ auf der Bühne erscheinen. Im Sitzen und nur mit ihrer Stimme. Mal piepsend als 13-jährige, mal zahnlos schlabbernd als „alter Schmierlappen“ oder leicht lallend als stets Cognac trinkender Ingenieur. Fast zwei Stunden Lesung und man bedauert, als es vorbei ist. Standing Ovations, Thalbach wirft Kusshände ins Publikum und die Literaturtage Albstadt haben ihren ersten Höhepunkt erlebt.