„Meßstetter denken in Lösungen, nicht in Problemen“

Von Benno Schlagenhauf

Die LEA, die Stadt und die Medien: Journalisten und Beteiligte ziehen zwei Jahre, nachdem die ersten Flüchtlinge nach Meßstetten kamen, Bilanz.

„Meßstetter denken in Lösungen, nicht in Problemen“

Michael Würz (links), Onlinechef beim ZOLLERN-ALB-KURIER, und die beiden SWR-Journalistinnen Sandra Müller und Katharina Thoms („Jeder Sechste ein Flüchtling“) berichten Moderator Markus Beschorner über den Umgang mit Gerüchten auf Facebook.

Zwei Jahre LEA Meßstetten – das sind zwei Jahre Höhen und Tiefen, viele Diskussionen und ungebrochene Hilfsbereitschaft vieler Bürger. Zum Ende des SWR-Onlineprojekts Jeder Sechste ein Flüchtling – eine inzwischen preisgekrönte multimediale Langzeitreportage – zogen Journalisten und Beteiligte am Donnerstagabend im voll besetzten Hörspielstudio des SWR in Tübingen Bilanz.

Was hat Meßstetten erreicht? Wie haben sich Stadt und Bürger verändert? Wie sind sie mit Problemen, Sorgen und Nöten umgegangen? Und was heißt es für Medienmacher, über ein so emotional aufgeladenes Thema immer wieder zu berichten?

„Wir haben es geschafft“, bilanzierte Karl Butz, der als Polizist Dienst in der LEA-Wache schiebt – und gleich zu Beginn der Diskussion klarstellte: Die Beamten der LEA-Wache seien keineswegs unter Zwang dorthin beordert worden. Dennoch könne er sich nicht vorstellen, diese Aufgabe für immer zu machen. „Die Abläufe in der LEA wiederholen sich natürlich. Irgendwann möchte ich mal wieder einen Unfall aufnehmen, bei dem sich zwei Schwaben darum streiten, wer schuld ist“, sagte er schmunzelnd.

Butz gab aber auch Einblick in die Ermittlungsarbeit in Zusammenhang mit der Massenschlägerei in der LEA, die sich im November vergangenen Jahres zugetragen hatte. Entgegen der Darstellung in vielen Medien sei der Streit nicht alleine wegen eines Brötchens in der Kantine ausgebrochen, betonte er. Bereits in den Wochen zuvor hatte sich demnach die Stimmung gegenüber dem Securitypersonal in der LEA verschlechtert. Der Streit um das Brötchen – er war wohl das i-Tüpfelchen, der die Stimmung zum Eskalieren gebracht hatte.

Voller Respekt würde hingegen den uniformierten Beamten der Polizei entgegengebracht, sagte Butz, der – damals nicht im Dienst – bei Facebook von der Auseinandersetzung erfahren hatte. „Wir haben online sehr schnell darüber berichtet“, sagte Michael Würz, dem als verantwortlichen Onlineredakteur des ZOLLERN-ALB-KURIER in den vergangenen zwei Jahren immer wieder vorgeworfen wurde, Vorfälle rund um die LEA zu verschweigen. „Bereits nach wenigen Minuten waren bei uns unzählige Nachrichten eingegangen, in denen Menschen vermuteten, dass wir nicht über die Schlägerei berichten werden“, sagte er.

Über andere Dinge gab es hingegen schlicht nichts zu berichten: Vor allem im Netz kursierten lange Zeit teils abstruse Gerüchte rund um die LEA. Als ewiger Gerüchtejäger, wie Moderator Markus Beschorner ihn vorstellte, recherchierte Würz monatelang all jenen Geschichten hinterher, die vor allem auf Facebook kursierten und die Menschen in der Region verunsicherten. Dabei seien vor allem Geschichten problematisch, die sich nicht genau verifizieren lassen, sagte Würz. „Wenn bei Facebook hingegen steht, dass ein Polizeibeamter aus der LEA entführt worden sein soll, glauben das weniger Menschen, weil es nicht besonders realistisch klingt.“ Für seine Arbeit war Würz, der stets den direkten Kontakt zu Lesern suchte, im vergangenen Jahr vom Medium Magazin unter die Journalisten des Jahres gewählt worden.

Stolz zeigte sich auch SWR-Redaktionsleiter Thomas Hagenauer über die Arbeit der Journalistinnen Sandra Müller und Katharina Thoms, die für ihre Webdoku unter anderem mit dem Caritas-Journalistenpreis ausgezeichnet wurden. Erst kürzlich waren sie gar für den Deutschen Radiopreis nominiert. Verdiente Anerkennung für eine Menge journalistisches Engagement: rund 9000 Fotos, über acht Stunden Video- und 56 Stunden Audiomaterial, das zudem noch transkribiert wurde, sammelten sie bei ihrer Recherche. Alle 14 Tage waren die beiden Reporterinnen dafür in Meßstetten und der LEA unterwegs. „Der Abstand dazwischen war wichtig, um unsere Eindrücke zu reflektieren“, sagte Sandra Müller. „Wir waren nah dran, zu viel Nähe wäre jedoch problematisch.“

In den zwei Jahren lernten sie die Bürger als pragmatisch und anpackend kennen: „Die Meßstetter denken in Lösungen und nicht in Problemen“, sagte Katharina Thoms. Nach zwei Jahren stünden 98 Prozent der Meßstetter der Erstaufnahmestelle positiv gegenüber, sagte einer der Protagonisten in der Reportage, der ehrenamtliche Helfer und Gemeinderat Alfred Sauter. Er fand über den Fußball auch ohne Worte einen Draht zu den Flüchtlingen: „Da können schließlich auch Taubstumme mitspielen.“ Ganz anders sieht das bei der Polizeiarbeit aus, die sich durch die Sprachbarriere verkomplizierte: „Bei den arabischen Sprachen wird sehr laut und gestenreich gesprochen“, erzählt Karl Butz. „Da weiß man dann oft nicht so genau, ob einem gedroht oder zugestimmt wird.“

Zum Ende der Multimediareportage kommt bei den Protagonisten etwas Wehmut auf. Keiner von ihnen habe sich vor zwei Jahren vorstellen können, was es bedeutet, mit der LEA auch persönlich in den Fokus der Berichterstattung zu geraten. Aber jeder würde wieder mitmachen. „Mir werden die beiden Mädels im dritten Jahr fehlen“, sagte Alfred Sauter, der die Berichterstattung in den Medien allgemein als realistisch bezeichnete.

Die Diskussion aus Sicht der Kollegen des Südwestrundfunks

Die multimediale Langzeitreportage von Sandra Müller und Katharina Thoms (SWR)